Zustände des Nervensystems Teil 4: Der Shut-Down

11/07/2024

Willkommen zurück zu unserer Serie über die verschiedenen Zustände des autonomen Nervensystems. Im letzten Teil der Serie geht es um den Shut-Down-Zustand, einen weiteren Schutzmechanismus des autonomen Nervensystems. Dieser Zustand wird durch die Aktivierung des dorsalen Vagusnervs ausgelöst und führt zu einem Zustand von Lethargie und Apathie. In diesem Beitrag werden wir die Ursachen und Symptome dieses Zustands genauer beleuchten und praktische Tipps geben, wie Du ihn erkennen und bewältigen kannst.


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Was ist der Shut-Down-Zustand?

Der Shut-Down-Zustand ist eine der extremsten Reaktionen des Nervensystems auf Bedrohung oder Stress. Er wird durch die Aktivierung des dorsalen Vagusnervs ausgelöst, der den Körper in einen Zustand der „Todesstarre“ versetzt. Das ist ein Überlebensmechanismus, der uns in Situationen extremer Bedrohung hilft, indem er den Energieverbrauch minimiert und das Bewusstsein herabsetzt.


Symptome des Shut-Down-Zustands:

  • Gefühl der völligen Erschöpfung oder Taubheit
  • Emotionale Apathie oder Dissoziation
  • Verlangsamte Körperfunktionen (Atmung, Herzschlag)
  • Mangel an Energie oder Motivation
  • Gefühl der Hilflosigkeit oder Hoffnungslosigkeit
  • Soziale Isolation


Hintergrundwissen zum Shut-Down-Zustand

Die Polyvagaltheorie von Dr. Stephen Porges schafft Verständnis für die einzelnen Zustände, also auch den Shut-Down-Zustand. Die Theorie beschreibt, wie unser autonomes Nervensystem verschiedene physiologische Zustände steuert, die unsere Reaktionen auf Stress und Gefahr beeinflussen. Der dorsale Vagusnerv, der den Shut-Down-Zustand auslöst, wird als ältester Teil des Vagusnervs angesehen und ist in vielen primitiven Überlebensreaktionen involviert.

Laut der Polyvagaltheorie schließen sich die unterschiedlichen Zweige des autonomen Nervensystems nicht gegenseitig aus, sondern können gleichzeitig aktiv sein (wie z. B. beim Freeze-Zustand). 


Warum kommen wir in den Shut-Down-Zustand?

Der Shut-Down-Zustand tritt auf, wenn unser Nervensystem in extremen Stresssituationen oder Bedrohungslagen entscheidet, dass weder Kampf noch Flucht möglich sind und dass der beste Weg zur Bewältigung der Bedrohung darin besteht, sich „tot zu stellen“. Diese Reaktion kann durch extrem traumatische Erlebnisse, chronischen Stress oder andere überwältigende Ereignisse ausgelöst werden. Obwohl dieser Zustand eine natürliche Reaktion unseres Körpers ist die unser Überleben sichern soll, kann er im Alltag problematisch sein, da er uns daran hindert, aktiv am Leben teilzunehmen und die täglichen Herausforderungen zu bewältigen.


Wie fühlt sich der Shut-Down-Zustand an?

Menschen im Shut-Down-Zustand haben häufig ein Gefühl der völligen Trennung von ihrer Umgebung und sich selbst. Es kann sich anfühlen, als ob man in einem tiefen, dunklen Loch steckt, aus dem es kein Entkommen gibt. Schon kleinste körperliche Bewegungen können schwer oder unmöglich erscheinen, und das emotionale Spektrum kann stark gedämpft sein, was zu einem Gefühl der völligen emotionalen Taubheit führen kann.


Beispiele aus dem Alltag:

  • Eine Person, die nach einem schweren Verlust oder Trauma das Interesse an allen Aktivitäten verliert und sich sozial isoliert.
  • Eine Angestellte, die unter chronischem Stress steht und schließlich in einen Zustand der völligen Erschöpfung fällt, unfähig, selbst grundlegende Aufgaben zu erledigen.
  • Ein Kind, das nach wiederholtem Mobbing in der Schule apathisch wird und sich immer mehr zurückzieht.


Trauma und chronischem Stress als Auslöser

Traumatische Ereignisse und chronischer Stress sind häufige Auslöser für den Shut-Down-Zustand. Ein schweres Trauma kann das Nervensystem so stark überfordern, dass es in den Shut-Down-Zustand übergeht.

Chronischer Stress, der über einen längeren Zeitraum anhält, kann ebenfalls dazu führen, dass das Nervensystem erschöpft und schließlich in diesen Zustand fällt.



Wege zur Bewältigung und Reguliereung:

Um den Shut-Down-Zustand zu überwinden, ist es wichtig, Körper und Geist langsam wieder in einen regulierten Zustand zu bringen. Dieser Weg erfordert Geduld und viel Selbstmitgefühl. 

Hier sind einige Strategien und Übungen, die helfen können:


Atemübungen:

  • Sanftes Bauchatmen: Langsame, tiefe Atemzüge, die den Parasympathikus aktivieren und den Körper beruhigen.
  • Bewusstes Atmen: Konzentriere Dich auf Deine Atmung und beobachte den Luftstrom beim Ein- und Ausatmen.


Bewegung und körperliche Aktivität:

Sanfte und leichte körperliche Aktivitäten wie das aufräumen eines Gegenstands, ein Glas Wasser trinken oder ähnliches, tragen auch dazu bei, ganz langsam wieder aus dem Shut-Down herauszukommen.

  • Mini-Bewegungen: Mach ganz kleine Mini-Bewegungen wie z. B. das Bewegen der Augen nach links und rechts, oder das Wackeln mit den Fingern oder Zehen.
  • Progressive Muskelentspannung: Spanne verschiedene Muskelgruppen an und entspanne sie bewusst, um körperliche Anspannung abzubauen.


Mute Dir nicht zu viel zu. Starte ganz langsam und mit wirklichen Mini-Bewegungen. Auch wenn es Dir so vorkommt, als ob Du Dich wie eine Schnecke bewegst. Genau das ist jetzt das Richtige. Alles andere würde noch mehr Stress ins System bringen. Starte ganz langsam und steigere Dich, wenn Du merkst dass es Zeit dafür ist.


Achtsamkeit und Selbstfürsorge:

Das Erkennen des Shut-Down-Zustands ist der erste Schritt zur Bewältigung. Achtsamkeitspraktiken wie Meditation und tiefes Atmen können helfen, im Moment präsent zu bleiben und Schritt für Schritt wieder in Richtung innere Sicherheit zu gehen.

  • Achtsamkeitsübungen: Übungen wie der Body-Scan (siehe weiter unten) oder geführte Meditationen können helfen, das Bewusstsein für den eigenen Körper wieder zu stärken.
  • Bewusstes Wahrnehmen der Umgebung: Achte auf das, was Du jetzt in diesem Moment in Deiner Umgebung siehst, hörst, fühlst, riechst oder schmeckst. Nimm es einfach nur wahr ohne es zu beurteilen.
  • Selbstfürsorge: Probier aus, was Dir gut tut und mache es so oft wie möglich.


Unterstützung suchen:

Im Shut-Down-Zustand ist es ratsam eine Ärztin oder Therapeutin aufzusuchen. Denn wenn Dein Alltag durch die Auswirkungen dieses Zustands bereits eingeschränkt ist und Du Deine Aufgaben nicht mehr erledigen kannst, solltest Du unbedingt medizinische Hilfe in Anspruch nehmen.  Ein Coaching kann in Absprache mit der Therapeutin eventuell begleitend stattfinden.

  • Unterstzützung: Suche nach einer Therapeutin mit der Du Dich wohl fühlst. Sprich Deinen Arzt an.
  • Bleib dran und sei stolz auf jeden Mini-Schritt den Du machst. Es mag jetzt so aussehen als ob sich gar nichts bewegt, aber in einem Jahr wirst Du zurückschauen und feststellen, dass doch einiges passiert ist. Wenn Du jetzt anfängst und dir Hilfe holst, dann bist Du schon einen großen Schritt weiter.


Praktische Übungen zur Regulation:

Hier sind einige praktische Übungen, die helfen können, den Shut-Down-Zustand zu überwinden und das Nervensystem begleitend zu stabilisieren.

Atemübung:
4-7-8 Technik

Schritt 1:
Atme 4 Zählzeiten lang durch die Nase ein.

Schritt 2:
Halte den Atem für 7 Zählzeiten an.

Schritt 3:
Atme 8 Zählzeiten lang durch die Nase aus.

Schritt 4:
Wiederhole das für mehrere Minuten.

Bewegungsübung:
Leichtes Dehnen

Schritt 1:
Beginne mit sanften Dehnübungen, um die Muskeln zu lockern.

Schritt 2:
Halte jede Dehnung für 15-30 Sekunden und atme dabei tief ein und aus.

Schritt 3:
Konzentriere dich auf die Atmung und die Empfindungen in Deinem Körper.

Achtsamkeitsübung: Body-Scan

Schritt 1:
Setze Dich oder lege Dich bequem hin.

Schritt 2:
Richte Deine Aufmerksamkeit nacheinander auf verschiedene Körperteile, von den Füßen bis zum Kopf.

Schritt 3:
Nimm jede Empfindung wahr, ohne sie zu bewerten, und entspanne bewusst jede Körperpartie.

Atemübung:
Kohärentes Atmen 

Schritt 1:
Atme 5 Zählzeiten ein.

Schritt 2:
Atme 5 Zählzeiten aus.

Schritt 3:
Wiederhole das für einige Minuten, so lange wie es für Dich angenehm ist.

Der Shut-Down-Zustand ist eine extreme Reaktion des Körpers auf überwältigenden Stress, die mit starken Einschränkungen im Alltag einhergeht. Es ist wichtig Strategien zu entwickeln, die Körper und Geist langsam und behutsam wieder in einen regulierten Zustand bringen. Durch Atemübungen, sanfte Bewegung, Achtsamkeit und mit professioneller Unterstützung kannst Du viel erreichen und Schritt für Schritt Deine innere Balance wiederfinden.


Alles Liebe, 

Deine Claudia

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